Eine Videonale die mit den Sehgewohnheiten bricht

Von Peter Köster

Bonn. „We dialogue, therefore we are (Wir sind im Gespräch, also sind wir)“, konstatiert der Philosoph Raymond Tallis in Johan Grimonprez‘ Videoarbeit Raymond Tallis – on tickling (2017). Das Werk ist eine von 29 aktuellen internationalen künstlerischen Positionen der Videonale.17 – Festival für Video und zeitbasierte Kunstformen, die bis zum 14. April im Kunstmuseum Bonn läuft. Thema der Ausstellung: „Refracted Realities“ (Gebrochene Wirklichkeiten).

Wer spricht über welche Medien?

Tallis bezieht sich mit seinem Statement auf den ersten Grundsatz des französischen Philosophen René Descartes‘ „Ich denke, also bin ich.“ (Cogito ergo sum). Gleichzeitig stößt er damit auch zentrale Fragen an, die die Ausstellung untersucht: Wie sind wir heute eigentlich miteinander im Gespräch? Wer spricht zu wem und über welche Medien? Über welche Realität(en) sprechen wir und wie (an)erkenne ich die Realität meines Gegenübers? Und welche künstlerischen Strategien werden aktuell entwickelt, um alternative Blicke zu ermöglichen und neue Perspektiven zu integrieren?
Refracted Realities“ (Gebrochene Wirklichkeiten) ist eine Ausstellung, die mit den Sehgewohnheiten bricht. Die Bilder der Installationen wechseln mal im Sekundentakt, mal sind sie ungewohnt lange zu sehen. Dies sei bewusst so gewollt, konstatiert Stefan Berg, Intendant des Kunstmuseums. „Jedes Bild, schon das gemalte, fotografierte, erst recht das gefilmte, ist eine bestimmte Verzerrung oder eine Interpretation von Wirklichkeit.“

Vor 35 Jahren gegründet

Für die aktuelle Videonale hatten sich Videokünstler aus der ganzen Welt beworben. Die erste Videonale fand im übrigen vor 35 Jahren in Bonn statt. „Sie war“, wie Berg konstatierte, „zugleich die erste in Deutschland. Seither haben sich das Festival – wie auch das Medium – neu erfunden, ästhetisch, thematisch, produktionstechnisch.“ Die 2019er-Ausstellung provoziert und stellt Fragen wie: Wie viele Facetten haben Wirklichkeit und Wahrnehmung der gezeigten Szenen. Die ausgestellten Wirklichkeiten fesseln: International bekannte Videokünstler wie Tobias Zielony, Stefan Panhans und Clemens von Wedemeyer, aber auch weniger bekannte Künstler verzerren und interpretieren mit ihren Videos und Installationen schlaglichtartig die dargestellte Realität. Dies zieht sich fast wie ein roter Faden auch durch die Arbeiten von Monira Al Qadiri, Eric Baudelaire, Zanny Begg & Oliver Ressler, Mareike Bernien & Alex Gerbaulet, Andreas Bunte, Shu Lea Cheang, Marianna Christofides, Chto Delat, Mike Crane, Saara Ekström, Nina Fischer & Maroan el Sani, Mahdi Fleifel, Johan Grimonprez, Laura Huertas Millán, Su Hui-Yu, Sohrab Hura, Adam Kaplan & Gilad Baram, Stéphanie Lagarde, Maryna Makarenko, Deimantas Narkevičius, Laure Prouvost, Morgan Quaintance, Maryam Tafakory, Eva van Tongeren, Tris Vonna-Michell, Andrew Norman Wilson.

Nur noch 29 Beiträge

Die 17. Videonale, für die bereits zum 4. Mal Tasja Langenbach verantwortlich zeichnet, unterscheidet sich diesmal deutlich von ihren Vorgängerinnen. „Das ganze wurde verschlankt, damit die einzelnen Arbeiten mehr Raum bekommen“, so die künstlerische Leiterin. Im Klartext: Waren es im letzten Jahr noch 43 Beiträge, so ist das ganze nun auf 29 geschrumpft. Was der Ausstellung nur gut tut. Dennoch ist auch diese verschlankte Festival-Version nichts, was man mal eben auf die Schnelle mitnehmen sollte. Gut 13 Stunden sollte man für diesen Parcour zeitlich einplanen. Für den einen oder anderen sicherlich eine Herausforderung für Augen, Ohren und Sitzfleisch, aber für wahre Videoenthusiasten sicherlich kein Problem.

Arbeit mit journalistischen Formaten

Alternative Wahrheiten und Fake News, die Rolle der Medien und wie sie unsere Wahrnehmung prägen und verändern – das sind Themen, die Tasja Langenbach unter dem Titel „Refracted Realities“ versammelt hat. Herausgekommen ist eine sehr politische und gesellschaftskritische Videonale mit Beiträgen, die häufig mit journalistischen Formaten arbeiten, sei es in Gestalt von Reportagen, Dokumentationen. Selbst Nachrichtenblöcke sind eingearbeitet. Fazit: Diese Videonale kommt sehr professionell daher. Einige der Beiträge sind auch kinoleinwand tauglich. So ganz überraschend kommt das ganze wiederum nicht, waren doch einige der Videonalisten bereits Documenta- oder Biennale-Teilnehmer.

 

BU:

Bild 1

Nina Fischer & Maroan El Sani, Freedom of Movement, 2017.
Foto: Peter Köster

Bild 2

Maryam Tafakory, (Absent Wound), 2018 © Maryam Tafakory

Bild 3

Saara Ekströn, Amplifier, 2017. Foto: Peter Köster

 
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