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Neues BGH-Urteil: Das Museum als Mausoleum – gemeinfreie Kunst kommt hinter Gitter

Für einen zeitgenössischen Künstler bedeutet es die höchste Ehrung, wenn seine Werke schon zu seinen Lebzeiten den Weg in die Museen finden. Der Kunsthandel vergießt dann schon mal Krokodilstränen, sind doch diese Werke dem Markt entzogen, was sich allerdings auf Preisniveau des beglückten Künstlers durchaus positiv auswirkt.
Nun geht es in diesem Blog aber nicht um zeitgenössische, sondern um gemeinfreie Kunst.
Ein neues Urteil des Bundesgerichtshofes führt die Idee der gemeinfreien Kunst jetzt ad absurdum und erweist der Forschung in Deutschland, aber auch dem pädagogischen Auftrag der Museen, unser Kulturerbe allen sozialen Gruppen in unserer Gesellschaft frei zugänglich zu machen, einen Bärendienst.

Worum geht es?

Wer ein urheberrechtlich geschütztes Werk ohne Genehmigung etwa in den sozialen Medien oder im Internet veröffentlicht, riskiert teure Abmahnungen und kann dazu verpflichtet werden, das Bild wieder zu entfernen.

Das deutsche Urheberrecht sieht vor, daß Kunstwerke 70 Jahre nach dem Tode ihres Schöpfers in das Eigentum der Allgemeinheit übergehen – sprich gemeinfrei werden. Bis dahin sind die Verwertung und Veröffentlichung von Abbildungen des Kunstwerks dem Künstler selbst oder seinen Erben vorbehalten.

Das neue BGH-Urteil vom 20.12.2018 unterwirft aber jetzt die Gemeinfreiheit von Kunst dem Hausrecht der Museen und dem Urheberrecht für Lichtbilder.

Die beklagte Partei ist ehrenamtlich für die deutschsprachige Ausgabe des Internet Lexikons, Wikipedia mit dem zentralen Medienarchiv Wikimedia Commons tätig. Sie hatte Fotos eines Richard-Wagner-Gemäldes, das der Porträtmaler Cäsar Willich 1862 angefertigt hatte, auf seinen Seiten veröffentlich. Eigentlich ist das Bild also gemeinfrei, denn Willich starb 1886 und ist also lange genug tot.

Eigentlich, denn das Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museum, in dem das Bild hängt, hat Wikipedia verklagt, Fotos des Gemäldes unrechtmäßig veröffentlicht zu haben. Und damit sich die ganze Klagerei lohnt, kam dann gleich auch noch ein US-amerikanisches Unternehmen ins Visier des Museums, das Tassen mit dem Wagner-Motiv verkauft.
Interessant nun die Begründung des Urteils vom 20.12.2018 (AZ: I ZR 104/17), das nämlich in zwei Richtungen zielt.

Zum einen bestand im Museum ein durch Piktogramme kenntlich gemachtes Fotografierverbot.

Zum anderen macht der BGH sein Urteil am Lichtbildschutz fest, denn Wikipedia hatte auch Bilder aus einem Katalog abfotografiert und veröffentlich. Das Gericht billigt aber dem Fotografen, der die Bilder 1992 für eine Publikation des Museums angefertigt hatte, aufgrund eines Mindestmaßes an persönlicher geistiger Leistung ein einen Lichtbildschutz nach dem Urheberrechtsgesetz zu, der durch die Klage des Museums nun geltend gemacht werde.

Nun sei allerdings – was die Begründung des Urheberrechts des Fotografen betrifft – doch die Frage erlaubt, wo denn eigentlich die kreative Leistung liegen soll, wenn dieser nichts weiter tut, als ein Gemälde abzufotografieren. Die Auswahl eines geeigneten Ausschnitts oder der passenden Beleuchtung hat ja wohl eher etwas mit handwerklicher Fertigkeit zu tun, ganz so, als sei ein rein technischer Scan gemacht worden. Verfolgt man diese Argumentationskette weiter, wird irgendwann vermutlich auch jedem Passfotoautomaten ein Urheberrecht zugesprochen, weil die Kiste gut belichtete Passfotos machen kann.

Ob das Museum ein Veröffentlichungsverbot der unerlaubten Fotos schon aufgrund des Eigentums an dem Gemälde begründen kann, war nicht Sache des Urteils, aber gerade hier wird die Sache interessant, denn bislang gibt es hier keine einheitliche Rechtsprechung.

Im Falle des Schloss Sanssoucci (BGH-Urteil V ZR 44/10 vom 17.12.2010) beispielsweise ging es darum, daß das Anfertigen von Fotos untersagt werden kann, wenn der Fotograf dazu das Grundstück betreten muss. Etwas anderes gelte, wenn Fotos vom öffentlichen Straßenraum aus geschossen werden – hier spricht man von der Panoramafreiheit, die aber beispielsweise an der Zaunhöhe endet. Wer etwa auf der Straße eine Leiter aufstellt, um über einen hohen geschlossenen Zaun fotografieren zu können, überschreitet die Panoramafreiheit und verletzt die Rechte des Grundstückseigentümers.

Das Urteil gibt auch keinen Aufschluss über die Frage der Veröffentlichung von Fotos eines gemeinfreien Kunstwerks, die gemacht wurden, bevor das Werk in ein Museum kommt und unter Hausrecht gestellt wird.

Kann das Museum die Veröffentlichung alleine aus seinem Eigentumsrecht am Originalgemälde verbieten?

Diese Frage wird dann äußerst brisant, wenn es sich um ein mit öffentlichen Mitteln errichtetes Museum handelt. Denn genau genommen gehört ein mit Steuermitteln errichtetes Museum der Allgemeinheit, den Bürgern, also uns allen. Und wenn in einem solchen öffentlichen Museum gemeinfreie Kunst hängt, die dank eines Ankaufetats ebenfalls mit öffentlichen Mitteln gekauft wurde, gehört auch diese Kunst der Öffentlichkeit.

Bei Privatmuseen und Museen von Sammlern mag die Sache anders aussehen, da es sich hier um Privatgelände handelt. Aber im Falle der mit öffentlichen Mitteln errichteten oder geförderten Museen macht das BGH-Urteil aus den Museumsdirektoren kleine Fürsten, von deren Gnade es abhängt, ob es beispielsweise ein Fotografierverbot gibt oder nicht.

Und wenn ein bestimmtes Kunstwerk oder ein bestimmter Künstler den sittlichen, moralischen oder ästhetischen Empfindungen der Museumsleitung – oder der über ihr stehenden Politik und Verwaltung – nicht mehr entspricht, verschwinden die Werke im Depot und gleichzeitig kann jede Veröffentlichung von Fotos der betreffenden Werke verhindert werden. Da bleibt von der Idee der Gemeinfreiheit und dem demokratischen Zugang der Gesellschaft zu ihrem Kulturerbe nicht mehr viel übrig.

Nun können Museumsdirektoren natürlich versucht sein, jede Veröffentlichung von Fotos mit dem Hinweis auf ihnen entgehende Einnahmen zu verbieten. Oder es gäbe noch die Argumentationslinie, daß die Darstellung von Kunst im Internet jeden Museumsbesuch überflüssig machen könnte. Doch da machen es sich die Kunstmuseumsleiter etwas zu einfach. Wenn ein Museum nicht besucht wird, liegt das nicht am Internet, sondern an mangelhafter Attraktivität und mangelhaften Konzepten.

Und wie der Umgang mit Abbildungen der Kunst auch aussehen kann, beweist das Amsterdamer Rijksmuseums, das stellt nämlich aufgelöste Digitalisate online zur freien Verfügung und hat deshalb auch nicht weniger Besucher.

Der Gesetzgeber ist gefragt, das Urheberrechtsgesetz zu reformieren und gemeinfreie Kunst der Willkür einzelner Museen zu entziehen. Der Zugang einer Gesellschaft zu ihrem kulturellen Erbe ist schließlich ein demokratisches Recht.

(Kommentar von Talking Art zum BGH Urteil vom 20.12.2018, AZ: I ZR 104/17)

 
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