Sigmar Polkes „Fotoshooting“ im Museum Morsbroich
Von Peter Köster
Leverkusen. „Schöne Bescherung“ nannte sich die Ausstellung von Gerhard Richter und Sigmar Polke im Museum Morsbroich im Jahre 2016. Das Haus zeigte anhand von Bildern, Zeichnungen, Fotografien, einem von Polke und Richter gemeinsam gestalteten Künstlerbuch, das Zitate aus trivialen Heftromanen mit eigenen Texten und Fotografien verband – eine Collage mit viel Freude am „Quatsch machen – ungewöhnliche Früchte einer Künstlerfreundschaft“. Heute, zwei Jahre später, gibt sich Sigmar Polke im Museum die Ehre. Die bis zum 2. September gezeigte Schau „Sigmar Polke, Fotografien 70 – 80“ präsentiert ein umfangreiches Konvolut (500 Aufnahmen) bisher unveröffentlichter Fotografien, ungesehene Dokumente des „Dabeiseins“/alchemistisch angehauchte „Linsenflirts“.
Alchimist der Dunkelkammer
Sigmar Polke hat nicht nur die Grenzen der Malerei ausgelotet, auch mit der Kamera hat er experimentiert. Kritisch, gleichzeitig spielerisch und oft ironisch setzte sich der Künstler (1941-2010) mit Phänomenen unserer Gesellschaft auseinander und überraschte immer wieder mit ungewöhnlichen Malmaterialien. Die Fotografie war ihm seit seinen Anfängen ein willkommenes Medium für künstlerische und technische Experimente. In der Dunkelkammer – oder am Fotokopiergerät – gewinnt er dem Zufall der chemischen Prozesse, geschichteten Mehrfachbelichtungen und vorsätzlich falsch angewandten Verfahren magische Bilder ab, die in ihrem Kern die reale Vorlage, das Abbild der Wirklichkeit, immer ahnen lassen. In den im Museum Morsbroich gezeigten Aufnahmen aus den 1970er Jahren, die im übrigen alle ohne Titel sind, erweist sich Polke als experimentierfreudiger Verwandlungskünstler und Alchimist der Dunkelkammer. Die größtenteils erstmals ausgestellten Fotografien aus dem Eigentum von Georg Polke, der gemeinsam mit Fritz Emsländer die Ausstellung kuratiert hat, zeigen Polke als einen der Protagonisten der rheinischen Kunstszene und zugleich auch als scharf blickenden Chronisten seiner Zeit mit ganz eigenem Humor. Offenbar sah der Künstler das Labor als Pinsel. So gibt es hier grob gerasterte Objekte wie in seinen Gemälden, daneben Fantasiestudien zu Goya-Werken oder surrealistische Spielereien.
Die Kamera als ständiger Begleiter
Die Kamera ist Polkes ständiger Begleiter. „Polke ist stets auf der Suche, auf der Jagd nach flüchtigen Erscheinungen“, sagt Fritz Emsländer. In zahlreichen Aufnahmen zeigt der Künstler sein persönliches Umfeld: zu Hause, zunächst in Düsseldorf, seit 1972 dann auf dem Gaspelshof in Willich, später in Köln, auf Vernissagen und auf Reisen. Polkes Fotografien sind oft bewusst ‚unsachgemäß‘ geschossen, sind absichtlich unscharf oder überbelichtet. Dieses anarchische Material dient ihm dann als Grundlage vielfältiger Manipulationen im Labor. Dort entwickelt er die Fotos durch Mehrfachbelichtung, Umkehreffekte, Überblendungen oder Solarisation weiter. Im Prozess sind auch zufällig auftretende Erscheinungen immer willkommen. So entstehen Bilder, die das Alltägliche humorvoll brechen und dem Trivialen eine geheimnisvolle Aura verleihen. Mit seinen experimentellen Bearbeitungen – „Expeditionen ins Unbekannte der Fotochemie“ – erprobt Polke eine andere Lesart des Mediums Fotografie. Er erfindet kunstvolle Fehler, die die atmosphärische Intensität und den malerischen Reichtum der Fotoabzüge steigern. Dass die Labortricks auch in der Malerei wirkten, bewies Polke 1986 auf der Biennale von Venedig. Dank Silbernitrateinsatz durchliefen die Gemälde vor den Augen der Betrachter noch fotochemische Veränderungen – was der Künstler dann wieder im verfremdenden Foto festhielt. Für seine Arbeit wurde er mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.
Bilderkiste als Auslöser der Schau
Dass nun im Museum Morsbroich diese Fotoausstellung überhaupt stattfindet, ist eher einem Zufall geschuldet: Sigmar Polke hatte seinem Sohn Georg die Bilderkiste 1978 geschenkt, als die Familie aus der Künstlerkommune Gaspelshof in Willich nach Köln zog. Erst vor zwei Jahren fand Georg den verschollen geglaubten Schatz im Keller wieder. Unter den 500 gezeigten Aufnahmen sind auch viele mit Personen, deren Identität nun das Museum zu ergründen versucht. Es ist, wie der stellvertretende Museumsleiter Fritz Emslander bekennt, ein großes „Who is who“. Er erhofft sich nicht zuletzt Hilfe durch die Besucherinnen- und Besucher, die sich in den kommenden Monaten die Ausstellung anschauen. Vielleicht können diese bei der Aufklärung helfen.
Sigmar Polke, ohne Titel (Blinky Palermo, Kirchfeldstraße Düsseldorf),
um 1968, Fotografie, 20 x 30 cm, Privatsammlung;
© Georg Polke – VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Sigmar Polke, ohne Titel (Biennale Venedig), um 1986, Xerografie, 30 x
20 cm, Privatsammlung
© Georg Polke – VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Sigmar Polke, ohne Titel (Sigmar Polke), um 1970, Fotografie, 20 x 30 cm, Privatsammlung
© Georg Polke – VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Sigmar Polke, Ohne Titel (Gauloises), 1970–80, Fotografie, 20 x 30 cm, Privatsammlung
© Georg Polke – VG Bild-Kunst, Bonn 2018