Museum August Macke Haus: Cut-out trifft Schattenriss

Von Peter Köster

Bonn. Scherenschnitt und Schattenbild waren bevorzugtes Medium des Künstlers Ernst Moritz Engert. Das Museum August Macke Haus widmete dem Künstler, der 1913 an der von August Macke initiierten „Ausstellung Rheinischer Expressionisten“ beteiligt war, 2014 eine umfangreiche Schau. Der „Silhouettenschneider der Avantgarde“ steht diesmal aktuell als Pate für die Ausstellung „Schnittstelle“ im Museum, die bis zum 4. November gezeigt wird.

Technik des Scherenschnitts

„Nach zwei Ausstellungen aus dem Macke Kosmos erfolgt nunmehr mit der Ausstellung Schnittstelle die Öffnung zur Gegenwart mittels Brückenschlägen“, so beschreibt Klara Drenker-Nagels, Direktorin des Museums, die neue Schau. Der Parcour startet mit dem Hausherrn August Macke, setzt sich fort über Ernst Moritz Engert, Lotte Reiniger, Felix Droese, Zipora Rafaelov, Thomas Gerber, Annette Schröter, Anett Frontzek, Lena von Goedeke, Marion Eichmann, Volker Saul, Andreas Kocks, Heike Weber, Conelia Genschow, Gabriele Baschs, Hans Lankes, Martin Noël, Katharina Hinsberg und endet schließlich mit Charlotte Mc Gowan-Griffin.

Form eines kleinen Prologs

In Form eines kleinen Prologs richtet sich der Blick auf Ernst Moritz Engert (1892–1986), ein im Kreis der Rheinischen Expressionisten ausgewiesener Silhouettist und Schattenspieler, sowie auf Lotte Reiniger (1899–1981), eine Pionierin des Animationsfilms. Ausgehend von den ausdrucksstarken Arbeiten des Expressionismus, zu denen eine noch nie gezeigte Collage von August Macke (1887–1914) gehört, entfaltet sich ein spannungsvoller Reigen mit zeitgenössischen Werken, die alle Möglichkeiten mit Papier, Schere, Messer oder Skalpell spektakulär ausreizen. Dass der Papierschnitt durch seine besondere Prägnanz kritisches Potential besitzt, beweisen Künstler wie Felix Droese (*1950) und Annette Schröter (*1956). Während Droese in monumentalen Schattenrissen den Umgang mit kritischen Anfragen durch die Kunst ironisiert, inszeniert die in Leipzig tätige Annette Schröter zum Klischee geronnene Motive des sozialistischen Realismus. Gewalt und Unterdrückung charakterisieren die nur auf den ersten Blick harmlos wirkenden Arbeiten von Tobias Gerber (*1961), die in ihrer Ausprägung an frühe Formen des Schattentheaters erinnern.

Marion Eichmanns wunderbarer Waschsalon

Das Interesse von Anett Frontzek (*1965) gilt Ordnungssystemen wie See- und Landkarten, die zur Erschließung der Welt entwickelt wurden und heute wie historische Relikte einer vordigitalen Zeit wirken. Ausgehend von computergenerierten Formen entwickelt Lena von Goedeke (*1983) schließlich fragile Landschaften von fremdartiger Schönheit mit verblüffender Fern- und Raumwirkung. Zipora Rafaelov (*1954) zeigt erstmals aus ihrer Serie „Relaxing Women“ drei Beispiele lasziv lagernder Frauen, die in Bildsprache und Farbigkeit Erinnerungen an Werke von Henri Matisse oder Otto Dix wachrufen. Marion Eichmanns (*1974) überbordende, bunte Papierschnitte reflektieren zeitgenössische Konsum- bzw. Wohnwelten. Für die Bonner Ausstellung erarbeitete sie eine ortsspezifische Variante ihrer Installation „Laundromat“, eines hyperrealistischen Waschsalons. Die Akkuratesse und Präzision ist geblieben, doch Eichmanns wunderbarer Berliner Waschsalon wagt den Sprung in den Realismus, in die Sozialstudie. Detail für Detail hat die Künstlerin mit Schere und Cutter Papiere ausgeschnitten, sogar die Lüftung, Steckdosen und ein Rauchabzug sind so entstanden. Die Berliner Künstlerin demonstriert mit ihrer Arbeit wohl am deutlichsten, wie weit sich der Scherenschnitt seit Engerts Zeiten verändert hat.

Mit Graffiti an Museumswand verewigt

Bunt kommen auch die Headhunters von Volker Saul (*1955) daher: kleine Manipulationen verwandeln abstrakte Formen in skurrile Monster. Der zeitgenössische Begriff ›Cut-out‹ schließt raumgreifende Installationen ein. Der Münchner Andreas Kocks (*1960) realisierte für die Bonner Schau eine Arbeit, die sich mit den Paradiesvorstellungen von August Macke auseinandersetzt. Heike Weber (*1962) arbeitet mit mehrlagigen vegetabilen Formen von beeindruckender Plastizität und kreierte für das Haus ebenfalls einen neuen, wandfüllenden Schnitt. Das Thema Natur beschäftigt auch die Bonner Künstlerin Cornelia Genschow (*1974), die für ihr Schablonen-Graffiti dort auf Spurensuche ging, wo Mackes berühmtes Landschaftsgemälde ›Am Rhein bei Hersel‹ (1908) entstand. Das dort von ihr gefundene Wiesen-Knäuelgras hat Genschow als Schablonen-Graffiti an der Museumswand im Macke-Garten verewigt.

Gabriele Baschs (*1964) großformatige mit Spraylack überarbeitete Papierschnitte zeigen ein verblüffendes, illusionistisches Farb-Echo, während die kleinen fluoreszierenden Messerschnitte von Hans Lankes (*1961) als Schwarm die Wand erobern. Reduktion bis auf eine einzige Linie ist das Sujet einer außergewöhnlichen, erstmals ausgestellten Serie von Martin Noël (*1956, †2010). Katharina Hinsberg (*1967) zeigt in der für sie charakteristischen Präzision fragile weiße Papierschnitte mit netzartigen Strukturen und die in Berlin lebende Britin Charlotte McGowan-Griffin (*1975) ist mit ›White llinx‹, einer überaus dynamischen Arbeit vertreten.

Kuratorin Martina Padberg, die viel über das Medium Scherenschnitt recherchiert hat, zeigt mit der laufenden Ausstellung, was mit dieser Technik möglich ist. Aus der alten, in ihren Formaten und Formen beschränkten Technik des Scherenschnitts wurde ein vielgestaltiges Spektrum künstlerischer Positionen entwickelt, das von miniaturhaft kleinen Exponaten zu raumfüllenden Installationen, vom strengen Schwarz-Weiß zur Farbe, von einer vegetabilen Ornamentik zum politischen Statement führt. Eine sehenswerte Schau.

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Bild-1: Felix Droese. „Antiterroreinheit unterwegs zu einem Begräbnis der Kunst“. Fotokarton collagiert, je ca. 260 x 110 cm.
Foto: Peter Köster

Bild-2: Marion Eichmann, „Laundromat“, Installation 2018, Papier, Folie, Pigmenttusche.
Foto: Peter Köster

Bild-3: Annette Schröter, „Sieger der Geschichte“, Papierschnitt, 250 x 320 cm.
Foto: Peter Köster

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