Paula Modersohn-Becker-Schau zwischen Worpswede und Paris

Von Peter Köster

Wuppertal. Sie starb früh, mit nur 31 Jahren, und dennoch schuf Paula Modersohn-Becker (1876-1907) mit über 700 Arbeiten ein unglaubliches Oeuvre. Die Ausstellung im Von der Heydt-Museum, (9. September bis 6. Januar 2019) in Wuppertal, das mit mehr als 20 Gemälden neben Bremen das größte Konvolut der Malerin besitzt, präsentiert ihre eindrucksvollen Porträts, Selbstporträts, Stillleben und Landschaften zusammen mit Gemälden ihrer Malerfreunde aus Worpswede, Fritz Mackensen, Otto Modersohn, Fritz Overbeck, Hans am Ende und Heinrich Vogeler. Darüber hinaus setzt die Schau, die in Kooperation mit dem Rijksmuseum Twenthe in Enschede/Niederlande entstanden ist, ihr Werk in den Kontext der Pariser Avantgarde, vertreten durch Arbeiten von Rodin, Maillol, Cézanne, Gauguin und Bernardt. Ihr in nur wenigen Jahren entstandenes Werk weist Paula Modersohn-Becker als Vorläuferin des Expressionismus aus.

Schmäh von den Kritikern

Die Beharrlichkeit, mit der die junge Malerin Paula Modersohn-Becker Anfang des 20. Jahrhunderts in einer fast ausnahmslos männlich dominierten Kunstwelt ihre Ziele verfolgte, fasziniert auch heute noch. Selbstbewusst und selbstgewiss, unabhängig vom Urteil ihrer Lehrer, Malerkollegen und Kritiker gelang es ihr, etwas wirklich Neues in der Malerei zu schaffen. Das wissen wir heute. Aber in ihrer Zeit prasselte Kritik und Schmäh reichlich auf Paula ein. So schrieb 1899 die „Weser-Zeitung“ über ihre ersten zwei Bilder, mit denen sie in einer Sammelausstellung vertreten war: „Für die Arbeiten reicht der Wörterschatz einer reinlichen Sprache nicht aus. Hätte eine solche Leistungsfähigkeit auf musikalischem oder mimischem Gebiet die Frechheit gehabt, sich in den Konzertsaal oder auf die Bühne zu wagen, es würde alsbald ein Sturm von Zischen und Pfeifen dem groben Unfug ein Ende gemacht haben.“ Auch ihr Ehemann Otto Modersohn wusste sie nur halbherzig zu loben. „Sie hasst das Konventionelle und fällt nun in den Fehler, alles lieber eckig, hässlich, bizarr, hölzern zu machen. Die Farbe ist famos, aber die Form? Der Ausdruck! Hände wie Löffel, Nasen wie Kolben, Münder wie Wunden, Ausdruck wie Crétins. Sie ladet sich zuviel auf. 2 Köpfe, 4 Hände auf kleinster Fläche, unter dem thut sies nicht und dazu Kinder! Rath kann man ihr schwer ertheilen, wie meistens.“

Atmosphäre der Weltentrücktheit

Die Malerin, deren Bildern eine verblüffende Verwandtschaft zu Arbeiten von Paul Cézanne und Paul Gauguin eigen ist, farblich und figürlich, war das Kind einer bildungsbürgerlichen, kunstsinnig-liberalen Familie aus Dresden. Nach ersten Studienjahren in Berlin, suchte die junge Malerin bereits 1898 Anschluss an die gerade berühmt gewordene Künstlerkolonie Worpswede in der Nähe von Bremen. Paula wählte diesen Ort, weil sie diese Lebensform anzog. Mit Künstlern wie Otto Modersohn, Heinrich Vogeler und einem Dichter wie Rainer Maria Rilke wurde dort die Atmosphäre der Weltentrücktheit gepflegt, der gediegenen Melancholie. Mackensen, ihr späterer Lehrer, Otto Modersohn, ihr um einiges älterer späterer Mann, waren angesehene Künstler, doch auch Paula Becker gelang es bald schon, mit ihrer ganz individuellen, eigenartigen Malerei Beachtung zu finden. Akzeptiert, sogar bewundert wurde sie dennoch nur von Künstlern, die sie genau kannten und beobachteten: neben Otto Modersohn waren das zuerst Heinrich Vogeler und Rainer Maria Rilke. Letztgenannter war es, der Paula Modersohn-Becker ganz besonders prägte. Kaum ein Dichter befasste sich so eindringlich mit der bildenden Kunst wie Rainer Maria Rilke (1875-1926). Er hat Kunstkritiken geschrieben, Gedichte auf Bilder gemacht und in seinen privaten Briefen und Aufzeichnungen zu Kunstwerken Stellung genommen. Dem Sprachkünstler Rilke gelingt es auf unvergleichliche Weise, die Wirkung von bildender Kunst in Worte zu fassen. Obwohl er kurzfristig Kunstgeschichte studiert hat, war sein Zugang zur bildenden Kunst ein ganz persönlicher. Er zog aus der anderen Kunstgattung Lehren für sein eigenes Werk und auch für sein Leben. Über die Worpsweder Maler hat er eine Monographie geschrieben. In Paris setzt er sich auch mit neuerer Kunst auseinander. 1907 schreibt er die für Paula Modersohn-Becker bestimmten Briefe über Cézanne. Aus der späteren Zeit ist Rilkes Beschäftigung mit Picassos Gauklern und mit Aquarellen Paul Klees von Bedeutung.

Im Louvre in Paris gezeichnet

Worpswede, wo man noch den Naturalismus in einer idyllischen Landschafts-und Genremalerei pflegte, wurde Paula Modersohn-Becker aber bald zu eng. So suchte sie nach Inspiration in der berühmtesten Kunstmetropole der Zeit. In der Neujahrsnacht 1900 machte sie sich zum ersten Mal auf nach Paris. Ein halbes Jahr verbrachte sie dort, studierte an der Académie Colarossi und nutzt ihre freie Zeit, Ausstellungen mit alter und junger Kunst zu besuchen. Bis zu ihrem frühen Tod folgten drei weitere mehrmonatige Aufenthalte in der Stadt an der Seine. Sie zeichnete im Louvre, traf Rodin und setzte sich mit Cézanne, Gauguin, van Gogh und Picasso auseinander. Sie ließ sich von den neuesten französischen Strömungen anregen und behielt dabei ihren ureigenen Stil. In ihrer Malerei konzentrierte sie sich auf Klarheit und Einfachheit des Ausdrucks. Auch wenn sie mit Vorliebe Kinder, Alte und einfache Leute malte, verlieh sie den Porträts dadurch Monumentalität. Paula Modersohn-Becker verband das genaue Studium von Landschaft und Menschen mit der freien Erfindung von Formen und Farben, so dass ihre Modelle bei aller Kargheit eine sonderbar leuchtende, einzigartige Ausstrahlung erhielten. Mit Bedacht komponierte sie in der Fläche, so dass sich das Gesehene aus dem naturalistischen Zusammenhang löst. Deshalb gilt sie als frühere Vertreterin des Expressionismus. Erste Anerkennung erhielt Paula Modersohn-Becker erst einige Jahrzehnte nach ihrem Tod. Einer, der das Werk Paula Modersohn – Beckers früh bereits schätzen lernte, war August von der Heydt (Namensgeber des Wuppertaler Hauses). Bereits 1909, zwei Jahre nach ihrem Tod, erwarb der Bankier und Kunstmäzen sein erstes Gemälde von ihr: das „Stillleben mit Rhododendron“.

Provinzielle Bedrückung

Die Objekte sind sinnvoll sortiert und gehängt. Kuratorin Beate Eickhoff versucht Modersohn-Becker in ihrer Zeit zu präsentieren. Eine beeindruckende Reihe an Naturbildern aus dem Teufelsmoor bei Bremen zeigen gerade nicht liebliche Birklein und possierliches Getier; vielmehr sieht man an allen Schattierungen, warmen Farben, die üble Arbeit, die in einer solchen Landschaft geleistet werden muss, um dort zu leben. Karg und kühl. Der schöne Schein der weiten Horizonte wird von Modersohn-Becker gemalt, dass die provinzielle Bedrückung spürbar werden muss. Mehr jedoch als die auch im Oeuvre der Modersohn-Becker eher seltenen Stillleben überzeugen die Bilder mit Menschen. Vor allem die von ihr selbst. Sie malte sich nackt – die erste Künstlerin, die dies tat. An diesen wie an den Gemälden von Frauen aus dem Teufelsmoor fällt der realistische Zug auf, mit dem sie deren Körperlichkeit zu erfassen vermochte. Es sind Frauen, die meist nicht schön aussehen, stillende Frauen mit ihren Säuglingen, Frauen, die an Bäumen lehnen, Ruhe suchend. In Interpretationen heißt es oft, seit Modersohn-Beckers Werke begutachtet werden, ihre Figuren lächelten nie. Man könnte hingegen sagen: Ja, weshalb sollten sie? Höllenanstrengende körperliche Arbeit lädt nicht gerade zum Juchzen und Juxen ein. Lebensumstände wie damals, zumal in spaßeintrübenden Gegenden, in denen der Protestantismus Gottes Sagen innehatte, luden nicht zum Scherzen ein.

Die Elenden und Geschundenen

Modersohn-Becker hatte keine Seele aus Granit, der Blick dieser Männer mag sie geschmerzt, auch angespornt haben – aber sie ließ sich nicht wirklich irritieren. Sie war ja keine ganz und gar andere, nur eben eine Frau: Porträts von Geschundenen, Elenden, Gezeichneten sind auch von prominenten Malerkollegen gezeichnet worden, van Gogh oder Picasso. Bei Modersohn-Becker, die ihre Modelle nicht bei den Schönen und Reichen suchte, sondern in den bäuerlichen oder städtischen Slums, wirkt das nur anders, weil man ihr einen mitfühlenden Blick als Frau unterstellt. In ihrer Malerei konzentrierte sie sich auf Klarheit und Einfachheit des Ausdrucks. Ihren Lieblingsmotiven, Kinder, Alte und einfache Leute, verlieh sie dadurch faszinierende Monumentalität.

Ihr letztes Selbstporträt

Ihr letztes Selbstporträt zeigt die bereits von ihrer Krankheit gezeichnete Künstlerin. Mit roten Wangen, erschöpfter Miene, vom Kampf um Anerkennung wie zermürbt: Sie war keine Dame, die in ihrer Freizeit mal ein wenig Farbe zur Staffel trug, sondern eine Malerin, deren Existenz davon abhing, malen zu dürfen – und das nicht nur im toten Winkel neben Bremen. Als Modersohn-Becker wenige Tage nach der Geburt ihres einzigen Kindes nicht wieder ins Leben fand, sagte sie, so wird überliefert, im Moment ihres Sterbens: „Wie schade.“

Die Ausstellung im Von der Heydt Museum wird von instruktiven Texten begleitet; der Blick auf die weltweit erste Malerin, der ein eigenes Museum eingerichtet wurde (in Bremen), der aber irgendwie immer ein torfiges Image (Worpswede!) anhaftet, ist breitwandig möglich.

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Bild 1: Paula Modersohn-Becker, Kopf eines kleinen Mädchens mit Strohhut 1904
Öl auf Leinwand 27 x 33 cm Kunst- und Museumsverein im
Von der Heydt-Museum Wuppertal.
Foto: Peter Köster

Bild 2: Erste Arbeit von Paula Modersohn-Becker für die Sammlung
Von der Heydt-Museum Wuppertal. Stillleben mit Rhododendron um 1905
Öl auf Pappe 69,5 x 85,5 cm.
Foto: Peter Köster

Bild 3: Paula Modersohn-Becker, Alte Armenhäuslerin um 1905
Öl auf Leinwand 126 x 95 cm Von der Heydt-Museum Wuppertal.
Foto: Peter Köster

Bild 4: Paula Modersohn-Becker, Selbstbildnis mit Kette um 1903
Öl auf Pappe 38,5 x 25,5 cm Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen.
Foto: Peter Köster

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