Bundeskunsthalle zeigt Ernst Ludwig Kirchners „Erträumte Reisen“

Von Peter Köster

Bonn/Davos. Bereits 2014 zeigte die Bundeskunsthalle Ernst-Ludwig-Kirchner als Teil der Ausstellung „Die Avantgarden im Kampf“. Vier Jahre später ist der berühmte Künstler und Mitbegründer der Künstlergruppe „Die Brücke“ erneut in Bonn zu Gast. Titel dieser Schau, die bis zum 3. März gezeigt wird: „Erträumte Reisen“.

Um es vorweg zu nehmen, es ist eine grandiose Schau, die die Bundeskunsthalle gemeinsam mit dem Art Centre Basel und dem Kirchner Museum Davos auf die Beine gestellt hat. Insgesamt vier Jahre hat die Vorbereitungszeit gedauert. Mehr als 180 Ölbilder, Drucke, Plastiken und Holzschnitte, darunter Arbeiten, die bisher noch nicht den Weg in die Bundesstadt fanden, zeigen den deutschen Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner in den unterschiedlichsten Facetten. Das Gros der Werke, nämlich 130, steuerte allein das Kirchner Museum in Davos bei. „Bis auf zwei Räume ist unser Museum fast leergefegt“, gab Museumsdirektorin Ariane Grigoteit zu Protokoll. In Davos hat Kirchner über 20 Jahre seines Lebens verbracht, und dort ist er nicht nur als Maler sondern auch als „meisterhafter Bildhauer“ aufgetreten, betont Thorsten Sadowsky, der gemeinsam mit Katharina Beisiegel die Bonner Schau kuratiert hat. Explizit für Kirchners plastisches Werk steht „Das Bett“, das er als Liebesbeweis für seine Lebensgefährtin Erna Kirchner schuf, mit der er 1918 in Davos das Haus „In den Lärchen“ bezieht. 1923 erwirbt er dort ebenfalls das Anwesen auf dem „Wildboden“. Am eindrücklichsten zeigt sich Kirchners intensive Auseinandersetzung mit seinem neuen Heimatort Davos in den Motiven seiner Gemälde und Holzschnitte. Wiederholt greift er auf Bildthemen aus seiner unmittelbaren Umgebung zurück, in denen er bäuerliches Leben und Tradition mit seiner expressiven Form- und Farbgebung verknüpft.

Erneuerung des Ateliers als Gesamtkunstwerk

In Davos setzte Kirchner die Tradition seiner Dresdner und Berliner Ateliers fort. Das heißt, er beschäftigte sich auch hier intensiv mit der Ausgestaltung seines Hauses. Als Rückzugsort wird Kirchners Wohnraum zum Bildmotiv. Wiederholt wird das Interieur mit seinen Gemälden, Teppichen und Skulpturen abgebildet und ermöglicht so Rückschlüsse auf Kirchners Lebensraum. Die Ausgestaltung des Ateliers erfährt eine deutliche Weiterentwicklung. Sie berührt nicht länger nur den Innenraum, sondern beeinflusst auch die Außengestaltung. Aus einheimischem Arven- oder Lärchenholz fertigt Kirchner zum Beispiel das monumentale Skulpturenpaar Adam und Eva, das seine Haustür flankierte.

Künstlergruppe „Brücke“ gegründet

Die Suche des jungen Kirchner nach einer „authentischen“ und „ursprünglichen“ Lebensweise, die frei von den Errungenschaften und Zwängen der modernen Welt sein sollte, begann 1905. In diesem Jahr schlossen sich die vier jungen Architekturstudenten Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Fritz Bleyl zur Künstlergruppe „Brücke“ zusammen. Später stießen Max Pechstein und Emil Nolde hinzu. Man entdeckte bei der engen Zusammenarbeit rasch eine gemeinsame Leidenschaft, die ihr künstlerisches Schaffen maßgeblich prägen sollte: ein großes Interesse an den Erzeugnissen außereuropäischer Kulturen. Während Max Pechstein durch die Südsee reiste, Emil Nolde an einer Neuguinea-Expedition teilnahm, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff quer durch Europa fuhren, blieb Kirchner stets innerhalb der Grenzen Deutschlands und der Schweiz. „Kirchner ist der Maler, der immer zu Hause geblieben ist“, so Bundeskunsthallen-Intendant Rein Wolfs.

Leinwände selbst grundiert

Die Suche nach dem Exotischen und Ursprünglichen zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben und Werk des Malers. Ob Menschen, Tiere oder Naturszenen, besonders farbenprächtig sind Kirchners ausgestellte Ölgemälde vom Davoser Sertigtal und eine Balkonszene mit Bergblick. Schwarz-Weiß hingegen druckte der Künstler einen bärtigen Älpler und „Drei Akte im Walde“. Die Ausstellung lässt aber auch seine Biografie nicht außer Acht, zeigt etliche Fotografien aus Berliner Ateliers und Schweizer Almhütten, verknüpft die Protagonisten von Kunst und Leben miteinander, konzentriert sich aber auf Kirchners Maltechnik und Farbenlehre. So erfährt man, dass der Künstler seine Leinwände selbst grundierte, was zu jener Zeit eher unüblich war. Er experimentierte auch bei der Zusammensetzung der Farben und mischte sie mit Benzin und Wachs, so dass sie rasch trockneten – daher seine schnelle, eher grafische Malweise.

Zusammenarbeit mit Lise Gujer

Die sich bereits in den Landschaftsbildern der 1920er Jahre abzeichnende Hinwendung zu monumentalen Panoramen bereitet den Weg für Kirchners flächigen Stil. Dieser Wechsel hat seinen Ursprung in den von Kirchner entworfenen und in Zusammenarbeit mit Lise Gujer realisierten Textilarbeiten. Er zeigt aber auch Einflüsse von Picassos surrealistischem Werk, das der stets gut informierte Maler 1932 im Kunsthaus Zürich sah. Dieser von Kirchner selbst als „neuer Stil“ genannte Umbruch zeichnet sich durch klare Farbflächen, geometrische Strukturen und stilisierte Formen aus. Starke Hauptlinien und die Darstellung von Licht, Schatten und Bewegung als symbiotische Einheit stehen für die Abwendung vom Expressionismus hin zu einer komplexen Flächigkeit. Auch die Bedeutung des unmittelbaren Lebens- und Erfahrungshorizonts wird zweitrangig.

Kunstkritiker „Louis de Marsalle“

Kirchners Affinität zur Textilkunst spielte schon für die Ausgestaltung seines Ateliers in Dresden eine wichtige Rolle. In Davos lernte er die Schweizer Weberin Lise Gujer kennen, die Teppiche nach seinen Entwürfen herstellte. Die Zusammenarbeit zwischen Kirchner und Gujer begann vermutlich um 1922 und dauerte bis zu seinem Tod an. Es entstanden farbenprächtige Arbeiten, die über die Webtechnik einen nachhaltigen Einfluss auf Kirchners Malerei ausübten. Aus seinem Interesse an Textilien für den Privatgebrauch förderte Kirchner schließlich die Ausstellung und den Verkauf der Webarbeiten von Lise Gujer. Er inszenierte sich in der Rolle des Vermittlers und stritt, obwohl die Entwürfe von ihm stammten, vehement jede Urheberschaft ab. Als eigenständige Künstlerin orientierte sich Gujer an Kirchners Form- und Ideenwelt und übertrug sein Vokabular auf ihre Arbeiten, erweitert um ihre eigenen Stilmittel. Als enge Vertraute verwahrte sie die Originalskizzen und Vorlagen sowie Kirchners Davoser Tagebuch. Daraus geht unter anderem hervor, dass Kirchner nicht nur Künstler war, sondern auch als sein eigener Kunstkritiker auftrat. Dazu benutzte er das Pseudonym „Louis de Marsalle“.

Den Ersten Weltkrieg hat Ernst Ludwig Kirchner, wie viele seiner Künstlerkollegen, nicht verkraftet: Er ging 1914 als Freiwilliger an die Front, erlitt im Folgejahr einen Nervenzusammenbruch und wurde medikamentenabhängig. Sein Bild „Der Tanz zwischen den Frauen“ von 1915 ist mehr Totentanz als Vergnügen und scheint ein Psychogramm der eigenen Verlorenheit zu sein. 1917 zog er gesundheitsbedingt in die Schweiz, wo sich sein Zustand beruhigte und sein Stil veränderte. Nachdem seine Malerei von den Nazis als „entartet“ diffamiert worden war, erschoss er sich 1938 in Davos. Dort fand er seine letzte Ruhestätte.

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Bild 1
Bett für Erna Kirchner 1919 Arven- und Lärchenholz
© Kirchner Museum Davos. Foto: Peter Köster

Bild 2
Kirchners Anlehnung an Picasso. Foto: Peter Köster

Bild 3
„Der Trinker“ ist eines der Highlights der Schau. Foto: Peter Köster

Bild 4
Fünf nackte Grazien vom Künstler malerisch festgehalten. Foto: Peter Köster

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